Randfiguren im Scheinwerferlicht

03.03.2019

Faktor 7 und Faktor 8 - Mai 2018  (Anonyme Charaktere aus dem Buch "Die Bitcoinverschwörung"

Alles hatte eine sehr enttäuschende Wendung genommen. Nachdem das ganze Bitcoin Projekt über fünf Jahre so beharrlich aufgebaut worden war, schien alles, wie einst Avalon, in den Nebeln zu versinken.
Peter Hamish, ehemaliger Faktor 8, saß auf der großen Terrasse seines Ferienhauses in Cornwall und schaute auf das Meer. Seemöven flogen durch die Luft und das Rauschen der Wellen, die an die Steilhänge schlugen, waren bis hierher zu hören.
Morgen hatte sich Besuch angekündigt: Faktor 7, der, wie er nun wusste, eine Italienerin war, Isabella Maroni, eine Nichte des ehemaligen Staatspräsidenten von Italien, Belascani. Gemeinsam wollten sie sich über die Zeit austauschen und beraten, wie sie an ihr Vermögen kamen, das noch immer gebunden in China lag. Denn von Faktor 1 hörten sie nichts mehr.
Im Grunde war es ein Zufall gewesen, dass sie ihre Identitäten kannten. Faktor 1 hatte darauf großen Wert gelegt, dass sich keiner traf oder gar Kontakte mit anderen aufbauen konnte. Sie hatten sich beide am Flughafen in Marseille getroffen, als sie auf eigene Faust angereist waren, um nach dem Rechten zu sehen. Ein Wunder, dass sie beide gleichzeitig aus dem Gebäude kamen, um ein Taxi zu rufen. Und sich fast deswegen in die Haare bekommen hatten, da nur eines verfügbar gewesen war. Schließlich stiegen sie gemeinsam ein, um überrascht festzustellen, dass sie das gleiche Ziel hatten. Und sie beide am Vieux Port standen, hatten sie entdeckt, dass sie mehr verband, als sie gedacht hatten. Sie hatten jedoch nichts erreichen können und sich schließlich ins Lafayette gesetzt, um einen Café zu sich zu nehmen und sich lange unterhalten.
Das war Schicksal, hatte Hamisch gedacht; er glaubte an so etwas. Isabella schien das typische Temperament einer Italienerin zu haben, elegant gekleidet, lange, dunkle Haare, die sie offen trug, feurige, dunkelbraune Augen und eine wirklich gute Figur. Vielleicht wollte ihn ja das Leben entschädigen für die ganzen Pleiten? Denn mittlerweile hatte er nicht nur beruflich, sondern auch geschäftlich Schiffbruch erlitten. Und so war ihm von seiner ganzen Pracht nur noch sein schönes Haus und sein Auto geblieben.

Aber es musste einfach möglich sein, das Geld zurück zu ordern. Doch an wen sich wenden? Die Überweisung lag Jahre zurück. Faktor 1 schien verschollen und auf Kontaktversuche gab es keine Antwort. Aufgrund der ganzen Unruhen ging er davon aus, dass der Plan nicht aufgegangen war. Hatte sich Faktor 1 mit dem ganzen Geld abgesetzt? Eine beunruhigende Vorstellung, vor allem angesichts seines leeren Kontos! Vielleicht hatte Isabella da andere Möglichkeiten, als Nichte des ehemaligen Staatspräsidenten. Er holte sie vom Flughafen ab.
"Peter, wie schön dich zu sehen!" Sie umarmte ihn überschwänglich bei der Ankunft.
"Isabella, hattest du einen guten Flug?"
Sie hatte nur einen Koffer und ihre Laptoptasche dabei und stöckelte neben ihm zu seinem Auto. Während sie ihre Sachen einlud, betrachtete er sie. Auch dieses Mal trug sie ein elegantes Kleid und einen leichten Mantel. Sie strahlte ihn an, als sie sah, dass er sie betrachtete und wirbelte ihre lange Mähne durch den Wind. Eine schöne Frau, dachte er.
Das Leben hatte ihn in dieser Hinsicht leider nicht sehr verwöhnt. Nachdem alles verloren war, hatte seine langjährige Lebensgefährtin ihre Sachen gepackt und ihm ins Gesicht gesagt, dass sie sich das Ganze anders vorgestellt hatte. Schließlich könne er von ihr nicht erwarten, dass sie so ein Leben mit ihm teile.
Er hatte sich an jenem Abend sinnlos betrunken und war am nächsten Morgen mit einem Katzenjammer aufgewacht. Aber letzten Endes half es ihm nichts. Er realisierte allmählich, dass er mehr oder weniger alleine dastand und sich von den vielen, ach so guten Freunden, kaum einer mehr einfand.

In Cornwall schließlich angekommen, zeigte er ihr das Gästezimmer, das wie ein kleines Apartment einen eigenen Zugang hatte, mit einem kleinen Bad und Mini-Küche. Nach der Schlüsselübergabe lud er sie ein - er hatte einiges besorgt und überraschte sie mit einem selbst gebrutzelten Gericht. Auch etwas, das er sich mittlerweile angewöhnt hatte. Jeden Tag ins Restaurant war nicht mehr drin.
Isabella zeigte sich begeistert: "Bello, du kochst? Das ist phantastisch, ganz wie mein Papa!"
Sie hatten gegessen und machten einen kleinen Verdauungsspaziergang an den Klippen. Dabei erzählte Isabella, dass sie mittlerweile über die Geheimdienstkanäle ihres Onkels erfahren hatte, dass alles aus und vorbei war und Faktor 1 nicht mehr am Leben.
Er schwieg. Das Schlimmste schien sich zu bewahrheiten.
Sie fügte dann hinzu, dass ihr Onkel, der hinter ihr als Faktor 7 gestanden hatte, bereits mit der Bank in China Kontakt aufgenommen hatte. Er rechnete fest damit, dass das Geld zurück überwiesen wurde, da das Projekt geplatzt war. Das war wiederum eine gute Nachricht, aber wie sollte er jetzt vorgehen? Er war nur ein Abgeordneter im Oberhaus gewesen, hatte aber den Posten mittlerweile nicht mehr inne und hinter ihm stand letzten Endes niemand.
Isabella lachte und meinte: "Peter, das kriegen wir schon noch hin. Ich habe alles mitgebracht und ich zeige dir, was du tun musst." Sie schaute auf das Meer. "Ich wusste nicht, dass es hier so herrlich ist!"
Nach dem Spaziergang setzten sie sich zusammen und schließlich war die Anfrage gestellt. Erleichtert lehnte er sich zurück. Jetzt hieß es: Daumen drücken!
Am Abend saßen sie gemütlich zusammen auf der Terrasse, mit einem Glas Wein in der Hand. Vorher hatten sie zusammen einen Salat und einen Auflauf gesessen, den er unter ihren staunenden Augen zubereitet hatte.
Während die Abenddämmerung hereinbrach, holte er ihr eine Decke und zündete den Kamin an. Genussvoll streckte sie sich aus: "Es ist wunderschön hier, aber ist es nicht manchmal etwas einsam? Wo ist deine Frau?"
"Tja, es gibt keine Frau mehr in meinem Leben", meinte Peter lakonisch und sah auf das endlose Meer, auf dem sich die letzten Strahlen der untergehenden Sonne rötlich spiegelten. "Als ich mit meiner Firma insolvent wurde, war sie weg." Er sah Isabella regungslos an und ergänzte: "Ich bin arm wie eine Kirchenmaus. Niente, alles weg. Das kleine Paradies hier ist alles, was mir geblieben ist. Mein Bentley draußen war abgemeldet, daher haben die ihn nicht in die Finger gekriegt. Jetzt weißt du auch, warum ich so gerne koche!"

Isabella schwieg betroffen und sah lange auf das Meer heraus. Das hatte sie nicht erwartet. Aber je länger sie darüber nachdachte ... im Grunde war es perfekt. Hier war ein idealer Ort, um unterzutauchen, auf der Flucht vor ihrem Ehemann und seinem Mafia-Clan. Damals war sie schon nach Marseille geflohen und noch einmal zurückgekehrt. Aber sie hatte es endgültig satt. Ständig eine andere Geliebte und Pietro machte noch nicht einmal mehr ein Geheimnis daraus. In ihrem letzten Streit hatte er ihr wütend an den Kopf geworfen, wo sie hier die Kinder sehen würde, die er von ihr erwartet hatte. Dann hatte er sie verächtlich angesehen und kalt gesagt, dass sie als Frau vollkommen wertlos sei und er es bedaure, sie je angesehen zu haben. Sie hatte in der Nacht ihre Sachen gepackt und die Kontaktdaten von Hamisch herausgesucht. Und so war sie hier gelandet. Es kam langsam ein frischer Wind auf und sie kuschelte sich in die Decke, dem flackernden Kaminfeuer zugewandt.
Es war nicht so, dass Hamisch bitterarm sein würde, dachte sie - der Rest seines Vermögens würde freigegeben werden und er konnte, wenn er es richtig anstellte, noch angenehm davon leben. Und sie ebenfalls. Sie wandte sich ihm zu und registrierte, dass er sie aufmerksam ansah. Es gefiel ihr durchaus, was sie sah: Er hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit diesem Schauspieler in den Filmen, Colin Firth. Ruhig, mit einer leicht traurigen Ausstrahlung in seinem Gesicht, blaue Augen und dunkelbraunes Haar, das an den Schläfen bereits grau war.

Hamisch hatte sie nach seinen letzten Worten beobachtet und sofort ironisch gedacht: Das hat sie wohl jetzt etwas zu verdauen! Als ehemaliger Faktor hätte sie erwarten können, hier einen gewissen Wohlstand vorzufinden. Er hatte sich sowieso schon gewundert, warum sie ihn besuchen wollte und von dieser einsamen Ecke von Cornwall begeistert war. Frauen waren eben doch allesamt gleich, dachte er verbittert.
"Peter", begann sie, "das tut mir sehr leid. Was musst du von uns Frauen nur denken!"
Hamisch schwieg. Sie würde jetzt sicherlich nach ein wenig Smalltalk verkünden, dass sie morgen abreisen würde. Na gut, je früher, desto besser.
Isabella sah, dass er sich immer mehr verschloss und beschloss, dass es höchste Zeit war, in die Offensive zu gehen.
"Komm, wir setzen uns ein wenig näher an das Feuer, es wird kalt." Sie rückte mit ihrem Stuhl direkt neben ihn. Am knisternden Kaminfeuer in der Dunkelheit sitzend nahm sie seine Hand, was er erstaunt zur Kenntnis nahm. Sie fühlte sich gut an, diese Hand, dachte Isabella und erspürte sie wortlos. Es waren warme, starke Hände, die einer Frau Sicherheit geben konnten und die eine gewisse Sensibilität über den dazugehörigen Menschen verrieten. Ihre Nonna hatte das zweite Gesicht gehabt und von ihr hatte sie wohl auch diese Gabe, über die sie selten sprach. Sie drehte seine Hand um und fuhr die Lebenslinien entlang. Peter sah sie verblüfft an: "Du kannst in Händen lesen? Was siehst du?"
"Mmh, ein langer Weg und viel Unglück in der Vergangenheit, aber es geht bergauf und...", sie schaute ihn plötzlich strahlend an, "eine neue Liebe wartet auch auf dich und damit wendet sich das Blatt."
Überrascht überließ er ihr seine Hand, die sie weiterhin behielt, sich in den Stuhl zurücklehnend. Sie erzählte ihm von ihrer Nonna, die sie sehr geliebt hatte und von ihrer Jugend in Italien. Etwas Wehmütigkeit klang heraus, wie er fand. Also war sie mit ihrem Leben wohl auch nicht so zufrieden ... verlorene Jahre, die nicht mehr wiederkehrten.

Irgendwann registrierte er, dass sie immer noch seine Hand hielt. Peter warf ihr einen Seitenblick zu und sah sie sinnend in das knisternde Feuer schauen. Isabella hatte, als sie seine Hände betrachtete, auch etwas für sich selbst gesehen, was sie nicht erwartet hatte. Es würde auch für sie ein neuer Mann kommen; das was sie für ihn gesehen hatte, galt für sie auch. Würde er es sein? So genau wusste sie es nicht.
Sie merkte, dass er sie ansah und erwiderte jetzt seinen Blick. "Lass uns reingehen", meinte sie und stellte fest, dass sie zögerte, seine Hand loszulassen. Sie lächelte ihn an und fügte hinzu: "Hast du noch einen Wein für uns?"
Er folgte ihr, überrascht von der unerwarteten Wendung, die der Abend genommen hatte. Als sie nebeneinander auf der Couch saßen, erzählte sie ihm die ganze Wahrheit über ihren Ehemann, den sie verlassen hatte, und dass hinter ihr nicht die italienische Regierung, sondern der Mafia-Clan ihres Mannes mit all seinem Geld gestanden hatte. Dass sie hierher geflohen war aus einem Leben, in dem sie zutiefst unglücklich gewesen war.
"Und das ist alles, Peter, jetzt weißt du alles."
Sie hatte ihn aus ihren schönen Augen ernst, traurig und verheißungsvoll zugleich angesehen.
Nun war es an ihm, in die Ferne zu schauen, um über das nachzudenken, was sie ihm gerade gestanden hatte. Er stellte fest, dass Isabella ihn schon wieder überraschte. Daran hatte er schon gar nicht mehr glauben wollen, dass Frauen ehrlich waren. Warum also hatte sie ihm das so offen erzählt? Sie hätte ihm auch etwas vormachen können und bald hatte er ja auch sein Geld. Und ihr Onkel hätte ihr finanziell bestimmt auch aus der Patsche geholfen. Sie sahen sich beide still an. Ja, er fühlte sich zu ihr hingezogen und damals in Marseille hatte er schon gedacht, dass es kein Zufall war, dass sie sich beide begegnet waren.
"Isabella", begann er, "du bist hier willkommen, so lange du willst."
Die Luft zwischen ihnen schien jetzt zu prickeln und er spürte, wie ein Verlangen in ihm aufstieg. "Isabella...", flüsterte er, während seine Hand zu ihrem Gesicht wanderte, ihre Wangen entlang strich und durch die wunderschönen Haare fuhr.
"Isabella", sagte er beglückt, als sie seine Berührungen erwiderte und schließlich sanken sie, sich aufgewühlt liebkosend, in die Kissen.

Am nächsten Morgen saß sie in seinem Pyjama am Frühstückstisch. Peter schwenkte gerade die Eier in der Pfanne und sie schaute ihm andächtig zu und dachte an die Nacht mit ihm. Sie war in ihrem Leben als Frau so ausgehungert gewesen; hungrig nach Aufmerksamkeit und Liebe hatte sie förmlich alles aufgesogen, was er ihr hatte geben können. Liebevoll lächelte sie ihm zu. Er hatte ihr gut getan, dieser wunderbare Mann und sie freute sich auf das, was sie gemeinsam mit ihm noch entdecken und erleben würde.


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