Maya Shan & Fynn, humanoider Androide
Maya Shan & Fynn - Figuren im Thriller "Welt der Schöpfer" - Teil 1
Im
Grunde hatten sie sich beide kaum gekannt, dachte Maya Shan, Reporterin des Last Hope Sunrise auf Last Hope, Andromeda-Nebel, zurückblickend.
Es
hatte eine kurze Begegnung im September 10.003 gegeben, in der sie sich beide
voneinander angezogen gefühlt hatten und zwei Tage später erfolgte sein Besuch mit
dieser wunderbaren Nacht, während der sie sich in ihn verliebt hatte.
Allerdings wollte sie sich das lange nicht eingestehen, da er ein Androide war
und von seiner Seite aus durfte er sie aus Gründen der nationalen Sicherheit
nicht mehr kontaktieren.
Erst nach mehreren Monaten hatten sie sich
wiedergesehen und die ersten Tage auf dem Mond waren, trotz ihres täglichen
Hin- und Herfliegens wegen ihrer Arbeit, ein bisschen wie Flitterwochen
gewesen. Das Abendessen mit der "Familie", wie Justin Schwarz es
nannte, die Führung durch Golems Stammsitz, bei der sich Golem zum Schluss anschloss und ihr sein Arbeitszimmer präsentierte, in dem er sich
in der Regel aufhielt. Aber auch Chefwissenschaftler Schwarz riesiger Laborkomplex
neben dem Stammsitz war eindrucksvoll. Justin erklärte ihr, dass er und
Golem an einigen Neuerungen für seine Androiden saßen und zeigte ihr, woran er
gerade arbeitete.
Seitdem
sich Isis Romanow, First Lady und Androidin, für die Gleichstellung von
Menschen und Androiden einsetzte, gab es zunehmend Anfragen von Golden-Future
Androiden, die sich verschiedene Updates wünschten. Meistens
waren es Erweiterungen ihrer Kapazität, zusätzliche Speicher und andere
Spezifikationen. Aber es gab auch einige, die sich wünschten, eine Sexualität
mit einem Menschen zu erleben. So wie Miles, ein Androide, der seine Ausbildung
als Flight Commander hinter sich hatte und nun im Rahmen seiner Anstellung
genug Solar verdiente, um sich diese Erweiterung leisten zu können. Nur Golem,
Isis, Athena und Fynn - der ehemalig für den Ernstfall als Golems möglicher
Nachfolger vorgesehen worden war - waren überhaupt in der Lage, eine Sexualität
ähnlich der eines Menschen zu erleben. Bei allen anderen Golden Future-Androiden
waren nur die Anlagen dafür vorhanden mit der Option, ggfs. später auf eigenen
Wunsch hin eine Erweiterung durchzuführen. Aber es war eine arbeitsintensive
Prozedur, bei der Schwarz mit mindestens einem Monat Zeit rechnete und den
dementsprechenden Kosten. Miles war lange mit Ivy, einer menschlichen Frau,
verlobt gewesen und lebte seit ihrer Anstellung mit ihr zusammen. Er wünschte
sich, ihr all das bieten zu können, was sie auch von einem menschlichen Mann
erwarten durfte und so hatte die USOP das Update genehmigt.
"Da
habe ich ja mit Fynn richtig Glück gehabt", staunte Maya und sagte spontan. "Wenn ich
mir vorstelle, ich hätte auf diese wunderbaren Erfahrungen so lange warten
müssen ..."
Plötzlich
wurde ihr bewusst, dass Justin sie mit einem wissenden Ausdruck in seinem Blick lächelnd anschaute. Etwas
verlegen sagte sie schnell: "Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das
ihre Beziehung intensivieren wird."
Fynn,
der neben ihr stand, lachte: "Das ist ja wirklich passend ausgedrückt! Du
hast jede Qualifikation dafür, meinen neuen PR-Job in der Klinik auf Last Hope zu
übernehmen."
Seine Fröhlichkeit war ansteckend und sie stellte fest, dass sie in den letzten Jahren noch nie soviel
gelacht hatte wie in ihrem kurzen Zusammensein mit ihm.
Damals
hatte es auch ein erstes Krisengespräch zwischen ihnen gegeben, erinnerte sie sich, sofern man von
einer Krise sprechen konnte. Denn Fynn schien sich nicht ganz sicher zu sein,
ob sie letzten Endes nicht doch den "richtigen" Golem ihm vorzuziehen
würde, denn als solchen hatte sie ihn sowohl namentlich als auch vom Aussehen her
anfangs kennengelernt. Fynn war ursprünglich als sein Doppelgänger erschaffen
worden, um Golem im Ernstfall ersetzen zu können. Sie waren sich nach der äußerlich erfolgten, leichten Veränderung im Aussehen zwar
immer noch ähnlich, doch Golem besaß eine ganz andere, ausdrucksstarke Präsenz,
der sie sich nicht entziehen konnte. Während der Führung war Fynn auffällig
still und, zurück in seinem Apartment, sprach er sie sofort darauf an.
"Du
bist von Golem beeindruckt", begann er vorwurfsvoll und verschränkte die
Arme vor seiner Brust. Da sie es schon hatte kommen sehen, machte sie es sich
auf der Couch bequem.
"Ja."
Ruhig
erwiderte Maya seinen funkelnden Blick.
"Magst
du ihn?"
"Ja."
Ihr
war bewusst, dass sie mit ihrer Antwort Öl ins Feuer goss. Sie beide hatten
ihre Zuneigung beim ersten Mal auch mit einem "Ich mag dich"
tituliert - andererseits war es einfach so: Golem war ihr sympathisch, nicht
mehr und nicht weniger. Doch es war besser, die Situation ein für alle Mal zu
klären, entschied sie eisern, denn auf ständige Szenen solcher Art hatte sie
keine Lust. Und im Moment brodelte es sichtbar in ihm: Fynn sah den Supergau
vor sich, den er bereits erwartet hatte.
"Willst
du dich von mir trennen?", fragte er schließlich ausdruckslos, mühsam
beherrscht vor ihr stehend.
"Nein."
"Was
willst du dann? Ich will keinen anderen Mann neben mir ..."
Eine
Spur von Ratlosigkeit tauchte in seinem Gesicht auf.
Also
sagte sie jetzt offen: "Ich will dich als meinen Mann, Fynn. Und ja - ich bin
von Golem beeindruckt. Er hat eine faszinierende Ausstrahlung und das wird sich
nicht ändern."
Schweigend
sahen sie sich eine Zeit lang an.
"Du
hast einen starken Willen", meinte Fynn schließlich anerkennend, während
die Spannung spürbar abnahm. Sie seufzte
erleichtert: "Ohne den ginge es mit uns nicht, oder?" Und dann fügte
sie verschmitzt lächelnd an: "Wenn ich mich nicht durchsetze, stehe ich
bei dir schnell auf verlorenem Posten."
Sie streckte ihre Hand nach ihm aus und so setzte er sich zu ihr.
"Es
wird immer Menschen geben, die ich faszinierend oder beeindruckend finde,
Liebster. Mahal z.B. mag ich auch und zwischen Smith und mir gibt es
mittlerweile eine Art von Sympathie. Ich werde sicher auch noch andere mögen -
aber niemals in der Art, wie ich dich mag."
Fynn
sah sie unverwandt an und es schien noch in ihm zu arbeiten. Schließlich hellte
sich seine Miene auf: "Ich bin einverstanden."
Eifersucht
war eine starke Emotion und sie hatten noch einige Male darüber gesprochen - denn
auch für einen Menschen war es häufig nicht leicht, damit umzugehen.
Eine
Woche später reiste Fynn ihr nach und begann mit seiner Arbeit in der Klinik
für Psychosomatik und Neurologie auf Last Hope im Andromeda-Nebel. Bereits nach
einigen Tagen der Analyse machte er Prof. Bruno mehrere Vorschläge, wie die
Klinik wieder mehr in den Blickpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit gelangen
konnte. Dazu gehörte eine bessere mediale Präsenz, ein Kontakt und Austausch
mit anderen Kliniken; er schlug vor, vermehrt Konferenzen zum Thema hier
abzuhalten und hatte auch zur Effizienz der einzelnen Abteilungen Ideen. Bruno
zeigte sich hochzufrieden mit seinem neuen Angestellten und so begann Fynn als
nächstes, sich in das neue Thema einzulesen. Abends
holte er sie in der Regel in der Nachrichtenagentur Last Hope Sunrise ab und Shan stellte ihn
sofort allen Kollegen als ihren Lebensgefährten vor.
Es war in der USOP - bis
auf wenige Ausnahmen wie z.B. beim Ex-Präsidenten Ben Smith - üblich, dass
Androiden keinen Nachnamen erhielten. Dadurch war es jedem sofort klar, wem er
gegenüberstand, da insbesondere die Golden Future-Androiden sich äußerlich nicht mehr von Menschen unterschieden. Aber da sie sich in der Agentur
alle duzten, fiel es zunächst niemandem auf, dass er ein Androide war.
"Hy
Fynn!" - "Welcome on Last Hope" - "Nett, dich
kennenzulernen", waren die freundlichen Kommentare und so ließ sie es
dabei. Früher oder später würden sie es schon erfahren.
Eine
Woche später gingen alle zusammen etwas trinken und natürlich musste Fynn
mitkommen. Im Restaurant sitzend begannen auch schon die ersten, neugierigen
Fragen und so erzählte er von seinem neuen Job.
"Das
klingt interessant", meinte Jenny, ein hübsche Blondine. "Da werden
wir uns bestimmt mal über den Weg laufen. Ich werde oft dorthin geschickt, wenn
es etwas zu berichten gibt. Wo warst du vorher tätig?"
"In
einer beratenden Funktion auf dem Mond", erwiderte Fynn. "Ich habe Chefwissenschaftler Justin Schwarz unterstützt und für ihn die PR
übernommen."
"Sag
mal, hat dir schon jemand gesagt, dass du Golem sehr ähnlich siehst?",
sagte Peer plötzlich, woraufhin sich alle Blicke prüfend auf Fynn richteten.
Ja",
lachte dieser, "das ist wohl so. Aber Leute, ich bin es nicht."
"Und,
wie ist er denn so, unser Superandroide?", fragte Amir.
"Naja.
Golem ist eben Golem. Er lässt einen schwer in seine Karten schauen. Aber er
ist schon ziemlich beeindruckend", erwiderte Fynn ungezwungen und warf
Maya einen vielsagenden Blick zu, die an sich halten musste, um nicht
loszulachen.
Ihr
Chef Capelli tauchte auf und begrüßte seine Crew. Schließlich wandte er sich an
Fynn, um ihn ebenfalls willkommen zu heißen.
"Schön,
dass Sie kennenzulernen, Mr. ...?"
"Fynn",
entgegnete Fynn freundlich, "einfach nur Fynn. Sehr erfreut, Mr.
Capelli."
Capelli
sah etwas verdutzt von ihm zu Maya und am Tisch war es schlagartig ruhig
geworden - war Fynn etwa ein Androide?
Maya Shan
erkannte, dass es an der Zeit war, ihren Kollegen die Augen zu öffnen. Sie nahm
seine Hand in ihre und sagte dann strahlend in die Runde: "Er ist der
Mann, den ich liebe und der Androide meiner Träume!"
"Wow,
was für eine Schlagzeile!", murmelte Peer und sah beide beeindruckt an.
Capelli
räusperte sich: "Ja, dann also ... Fynn. Ich hoffe, Sie leben sich hier gut
ein. Haben Sie schon eine Bleibe?"
"Nächste
Woche ziehen wir in ein gemeinsames Apartment, Mr. Capelli", informierte
ihn Maya.
"Gut,
gut", murmelte er. "Dann will ich nicht weiter stören - meine Frau
wartet draußen. Ich wollte nur mal kurz "Hallo" sagen." Und
schon war er wieder fort.
"Also,
ich finde das interessant", sagte Jenny jetzt, die Fynn bewundernd ansah.
Man merkte ihr an, dass er ihr gefiel und ihr neugierige Fragen auf der Zunge
lagen. Amir hingegen schaute etwas skeptisch und verschlossen drein; er hielt
es wohl mit seinem Weltbild nicht für vereinbar. Und auch Clarke würde wohl
noch etwas daran knabbern, dass sie einen Androiden ihm vorgezogen hatte - so
entgeistert wie er gerade dreinsah. Aber schließlich warf Peer locker ein:
"Na und, was ist schon dabei? Ihr beide seid glücklich miteinander ... also,
jedem das seine. Ist meine Meinung."
Damit
lockerte sich die Stimmung und das Thema wurde gewechselt. Nach einer Stunde
löste sich die Gemeinschaft auf und sie fuhren nach Hause.
"Das
hat mir gefallen, was du gesagt hast", sagte Fynn später, als sie
nachtfertig in seinem Arm lag. "Ich bin sehr glücklich mit dir, meine
Traumfrau."
"Jenny
mag dich übrigens", lächelte Maya bedeutungsvoll, "also wenn du ..."
Weiter
kam sie nicht mehr, denn ihr Mund wurde unerbittlich verschlossen und als kurz
darauf eine Spur von verlangenden Küssen heiß über ihren Körper wanderte, waren
alle Gedanken vergessen.
Einige
Tage später wurde dann der Last Hope Sunrise informiert, dass sich Gouverneure von
verschiedenen Planeten in Andromeda angekündigt hatten, die den Botschafter von Atlas, Ben Smith, am darauffolgenden Tag bezüglich eines Projekts der USOP auf Atlas sprechen wollten. Wie gewohnt wurde speziell Shan zu einem abendlichen
Empfang in der Botschaft eingeladen. Maya fragte kurz an, ob sie mit Begleitung
erscheinen durfte und als die Bestätigung kam, freute sie sich. Denn es war für
Fynn sicher eine willkommene Abwechslung, auch mal wieder mit anderen Androiden
Kontakt zu haben.
Eingelassen
wurden sie von einem humanoiden, atlantischen Androiden, der in eine blaue Uniform gekleidet
war. Aber er besaß keine menschenähnliche Haut geschweige denn Haare, sondern glänzte metallisch, wo keine Kleidung vorhanden war. Ausdrucklos sah er beide
mit seinen dunklen Augen an und führte sie wortlos in einen prachtvollen,
großen Saal, in dem ein Büffet angerichtet war und einige Stehtische aufgebaut
waren.
Es
unterhielten sich kleine Gruppen von Menschen, andere standen mit einem Teller in der
Hand am Büffet und hinten sah sie den Gouverneur von Last Hope, Zhang Tian, bei Ben Smith, ein Ex-Präsident der USOP, den Atlas als Botschafter ernannt hatte, und
Mahal, dem atlantischen Konsul von Eden, stehen.
"Ah,
der Last Hope Sunrise", erkannte sie der Gouverneur erfreut. "Ihre
Arbeit ist bewundernswert, Miss Shan, und Ihr letzter Artikel hat mir gut
gefallen. Ein Foto? Gut, dann stellen wir uns mal in Pose."
Danach
verabschiedete er sich und Maya stand mit Fynn vor Smith und Mahal.
"Darf
ich Ihnen Fynn vorstellen? Er ist mein Lebensgefährte und wird hier auf Last
Hope ansässig."
Den
beiden war sicher sofort klar gewesen, dass hier ein Androide vor ihnen stand.
Mit Mahal hatte sie sich von Anfang an gut verstanden und mittlerweile mochte
sie ihn irgendwie, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Mit einem Blick, der sein
Erstaunen verriet, sagte der Androide des Imperiums Atlas: "Sie haben mich
überrascht, Miss Shan. Aber - ein Wunder ist es nicht. Ich bin sehr
erfreut, Sie kennenzulernen, Fynn."
"Freut
mich ebenfalls, Mahal", erwiderte Fynn locker und der Konsul zog ihn
daraufhin mit einigen Fragen über das, was er hier in Zukunft zu tun
beabsichtigte, ins Gespräch. So standen sie und Ben Smith sich inmitten des
Getümmels ruhig gegenüber. Er hatte sie damals im Manöver auf Poseidons
Kriegsschiff begleitet und aus der einstigen, unnahbaren Distanz war ein
gegenseitiger Respekt und Sympathie erwachsen. Ihm war ganz sicher die
Ähnlichkeit mit Golem nicht entgangen und nun dachte er sich wohl sein Teil.
"Fynn,
mmh? Sie setzen mich zum zweiten Mal in Erstaunen, Miss Shan", lächelte er
sie freundlich an. "Darf ich fragen, wo Sie sich kennengelernt
haben?"
Smith war ein kluger, irdischer Androide, gewieft und firm auf dem diplomatischen Parkett, aber auch sehr undurchsichtig. Was er wirklich dachte oder fühlte, ließ er in der Regel niemanden wissen, doch es war schwer, ihm
etwas vorzumachen. Aber die Wahrheit durfte sie nicht sagen; das musste ein
Regierungsgeheimnis bleiben.
"Ich
habe ihn über Justin Schwarz im Rahmen einer Recherche getroffen - und mich
verliebt."
Damit
endete sie und schweigend sahen sie sich einen Augenblick lang an.
"Das
freut mich für Sie", sagte Smith schließlich. "Zumindest ist jetzt
ein Geheimnis gelüftet: Wie aus der einstigen Gegnerin eines gleichberechtigten
Umgangs von Maschinen und Menschen eine Befürworterin wurde."
Hatte
er ihr etwa gerade zugezwinkert? Verblüfft lachte sie: "Ja, und wissen Sie
was? Es hat mich selbst am meisten überrascht. Aber ich habe es seitdem keinen
Tag bereut."
Und
dann hatte Fynn eines Tages in den Tiefen von Golems Speichern etwas
ausgegraben, was ihre Beziehung auf ungewöhnliche Weise bereichert hatte: Das
Kamasutra, eine alte indische Liebesschule. Tatsächlich
hatte sie selbst indische Wurzeln und war gespannt gewesen, was es ihr geben würde. Fynn
war eine sehr sinnlicher und experimentierfreudiger Androide und anfangs hatten
sie einfach nur Spaß dabei, bis sie beide herausfanden, dass es bei dieser
alten Lehre nicht allein um verschiedene Stellungen beim Akt ging. Fynn nannte
es sehr treffend "Das Spiel der Energien" und diese bewusste Art,
Sexualität zu erleben ließ eine tiefe Intimität zwischen ihnen entstehen. Mit
einem tiefen Atemzug und einem sanften Prickeln im Körper dachte sie daran, wie
erfüllt sie sich mit ihm fühlte - als er sich neben ihr regte. Seine Arme
legten sich um sie und dann hörte sie ihn in ihren Haaren brummen: "Guten
Morgen, meine geliebte Maya."
Es war
Zeit, aufzustehen.
Das
Frühstück morgens war nie sehr lang - Fynn benötigte keine Nahrung und, während
sie ihren Espresso trank und einen leichten Toast aß, besprachen sie, was jeder
von ihnen vorhatte und wann sie sich wiedersehen würden. Fynn hatte einen
geregelteren Tagesablauf als sie, denn durch ihre Recherchen oder, wenn Atlas
wieder einmal Presse und damit vorzugsweise sie anforderte, ergaben sich
manches Mal mehrtägige, lange Reisen, auf denen er sie nicht begleiten konnte.
Heute
Abend würde in der Klinik ein Empfang als Auftakt einer Konferenz stattfinden,
bei dem er anwesend sein musste. In die Klinik war seit seiner Ankunft Bewegung
gekommen. Im Prinzip war Fynn für die PR zuständig und organisierte alles, was
damit zusammenhing. Aber auch seine anderen Qualitäten wurden mittlerweile geschätzt
und der Leiter der Klinik, Prof. Dr. Bruno, setzte ihn gerne ein, wenn es z.B.
um Recherchen, Analysen und Empfehlungen für neue, vielversprechende
Behandlungsmethoden für seine Patienten ging. Da Fynn mit sehr lockeren Art,
auf Leute zuzugehen auch noch gerne zum Scherzen aufgelegt war, hatte er sich bald als
beliebter Mitarbeiter erwiesen.
Shan
selbst hatte noch einiges zu tun und so verabredeten sie, dass sie später am
Abend nachkam.
In der
Nachrichtenagentur Last Hope Sunrise ging sie nach der täglichen Begrüßung
durch die Kollegen in ihr Arbeitszimmer, um sich, wie jeden Morgen, an die vielen
Leserzuschriften zu setzen, die mittlerweile aus beiden Galaxien hereinkamen.
Ihre
Kolumne befasste sich in erster Linie mit den atlantischen Androiden aber auch
mit Androiden im Allgemeinen; was sie leisteten und den großen Nutzen, den die
USOP durch sie hatte. Sophia zum Beispiel, eine dunkle Schönheit, die jetzt auf
dem Flaggschiff der USOP ihren Dienst als Chefingenieurin tat - zuvor war sie
am Empfang in einer Hotelanlage tätig gewesen! Dank Isis Romanow, der First
Lady, die sich dafür einsetzte, dass Androiden ihrem Potential und Wünschen
gemäße Anstellungen bekamen, hatte sich für viele Androiden der Alltag
verändert. So brachte sie immer wieder Portraits dieser besonderen
Persönlichkeiten. Miles, der Flight Commander im zivilen Luftverkehr, der seine
menschliche Verlobte Ivy schlussendlich geheiratet hatte mit der Folge, dass er
jetzt ihren Nachnamen trug.
Maya Shan
hatte die Vision, die immer noch verkrustete Haltung in dieser Gesellschaft, Androiden als minderwertig anzusehen, allmählich aufzuweichen. Ehemals selbst
davon überzeugt wusste sie, wie stark die Ressentiments in der Bevölkerung noch
waren - und das Auftauchen der fremdartigen, metallisch glänzenden,
atlantischen Androiden hatte eher zu einem Rückschritt geführt, zumal diese
Rasse der Menschheit von Anfang an in technologischer Hinsicht auch noch
haushoch überlegen war.
Und
fast schien es so, als wollten Strömungen in der USOP mit aller Macht verhindern,
dass ihnen wenigstens nicht die irdischen Androiden über den Kopf wuchsen. Davon
betroffen waren vor allem die höher entwickelten Golden Future-Androiden, die
den Menschen zum Verwechseln ähnlich sahen. Sie entwickelten eine Persönlichkeit,
wenn es zugelassen wurde und besaßen ein immenses Leistungspotential sowie ein
Emotionsmodul, dass es ihnen ermöglichte, nicht nur Gefühle zu erkennen sondern diese auch in einem gewissen Umfang selbst zu erleben. Sie machten zwar nur einen
relativ kleinen Anteil an den Androiden insgesamt gesehen aus - aber die USOP
hatte mittlerweile entschieden, dass die Serie beendet wurde, um den sozialen
Frieden nicht weiter zu gefährden.
Auf
die Uhr sehend sah Maya, dass es bereits 22.00 Uhr war. Zeit, langsam in die Gänge
zu kommen, entschied sie. Sie hatte gut vorgearbeitet und das Wochenende lag nun
vor ihnen. Als das Lufttaxi die Klinik erreichte, waren immer noch viele Gäste
im Foyer anwesend.
Prof.
Dr. Bruno begrüßte sie kurz und so wanderte sie auf der Suche nach Fynn durch
die bunte Menge an Spezialisten, Wissenschaftlern und Forschern.
Schließlich
sah sie ihn mit der Kollegin aus der Agentur, die Capelli hergeschickt hatte. Lächelnd dachte sie daran, dass Jenny, eine
attraktive Blondine, von Fynn begeistert zu sein schien und wer weiß - wenn sie
selbst nicht gewesen wäre, dann hätte sie es sicherlich bei ihm versucht.
Auf
die beiden zugehend stockte sie jedoch irritiert. Denn Jenny nahm plötzlich Fynns
Hand und zog ihn mit sich, um hinter einer großen Leinwand mit ihm zu
verschwinden. Was sollte das denn werden?
Ihre Schritte beschleunigend kam sie gerade dazu, wie Jenny ihm eine Karte in die
Hand drückte und dann auf Tuchfühlung ging, um ihm, wie man so schön
sagte, ein paar sehr verführerische Augen zu machen. Verblüfft stand Shan einen
Augenblick wie angewurzelt da und beobachtete, wie Fynn versuchte, sie
freundlich und bestimmt von sich zu schieben.
"Hallo
Jenny", rief sie laut, sich aus der Erstarrung reißend. "Du bist noch
da?"
Überrascht
drehte sich ihre Kollegin um: "Oh, ich ... ich bin schon im Abflug begriffen,
Maya."
Einen
Augenblick später hatte sie sich wohl wieder gefasst, denn sie warf Maya mit
einem Zwinkern noch einen verschwörerischen Blick zu und verschwand. Immer noch etwas
durcheinander wandte sie sich Fynn zu.
"Es
... es tut mir leid. Hat sie dich belästigt?"
Fynn schaute
sie etwas ratlos an: "Warum tut sie das? Ich bin mit dir zusammen ..."
Zusammen
sahen sie sich die Karte an, die Jenny ihm in die Hand gedrückt hatte. Es war
ihre Visitenkarte und hinten las Shan: "Ruf mich an!" Dahinter hatte
sie auch noch ein Herzchen gemalt!
Flammende Empörung durchströmte sie. Was erdreistete sich die Kollegin hier? Sah sie Fynn
als Betthasen, den sie sich einfach nehmen konnte, wann sie wollte? Das war
nicht hinnehmbar und am nächsten Tag bat sie Jenny, sie im Arbeitszimmer für
ein Gespräch aufzusuchen.
"Ich
denke, wir müssen mal etwas klarstellen", begann Maya mühsam beherrscht,
als diese nach einer Stunde endlich erschien.
"Das
hier", und damit landete die Visitenkarte vor der Kollegin, "geht gar nicht. Du bist zu
weit gegangen."
Maya beugte sich langsam vor und fügte bedrohlich leise
an: "Du wirst dich meinem Mann nie wieder in dieser Art und Weise nähern,
haben wir uns da verstanden?!"
Damit
schwieg sie und betrachtete Jenny grimmig, gespannt darauf, was diese sich wohl dazu einfallen
lassen würde.
"Was
machst du eigentlich für ein Theater? Es ist wirklich nichts passiert.
Und auch wenn ..." Jenny
rollte mit den Augen und stöhnte leicht entnervt.
"Du
liebe Zeit, Maya, Fynn ist bloß eine Maschine, kein Mensch. Jetzt komm mal
runter von deinem hohen Ross. Er muss ja ein Weltwunder im Bett sein, dass du
so ein Getue um ihn machst! Aber du willst mir doch nicht allen Ernstes
weismachen, dass du ihn ... liebst?!"
Was
immer sie erwartet hatte - das war es nicht, dachte Maya entgeistert. Sollte
sie sie anbrüllen, mit Verachtung strafen oder am besten gleich ohrfeigen? Ihr
war nach allem zumute - aber was brachte das? So
sagte sie schließlich nur eisig: "Ich denke, es ist besser, wenn du sofort
den Raum verlässt!"
Ihr
Blick musste dementsprechend gewesen sein, denn Jenny erhob sich wortlos und
ging kopfschüttelnd hinaus.
Lange
saß sie vor ihrem Terminal - es hatte sie ins Mark getroffen, was Jenny gesagt
hatte. Das würde sie Fynn besser nicht erzählen, dachte Maya schließlich.
Ungewohnt
niedergeschlagen arbeitete sie noch einige Zeit an einem Portrait, um dann den
Arbeitstag zu beenden. Ihr war eher danach zumute, etwas spazieren zu gehen und
später am Nachmittag würde sie in der atlantischen Botschaft erscheinen. Atlas
hatte Last Eden eine spezielle Technologie zur Verfügung gestellt, über die sie
berichten wollte. Der Gouverneur Zhang Tian war anwesend und es würde sicher
nicht lange dauern, war aber eine willkommene Abwechslung.
Doch
die Begeisterung, die sie normalerweise an den Tag legte, wollte sich heute
einfach nicht einstellen. Das Interview war schließlich vorüber, alle nötigen
Informationen für den Artikel hatte sie und der Gouverneur wurde gerade von Ben
Smith verabschiedet.
Als
sie gerade dabei war, ihre Sachen zusammenzusammeln, kam er zurück und blieb
bei ihr stehen.
"Sie
waren heute nicht ganz bei der Sache, Miss Shan. So kenne ich Sie gar nicht.
Ärger im Paradies?"
Sich
aufrichtend musterte sie ihn schweigend, wie das gemeint war. Noch so einen
Hammer verkraftete sie heute nicht. Aber in seinem Gesicht las sie leicht
erstaunt so etwas wie eine Anteilnahme.
"Kommen
Sie, setzen wir uns", meinte er dann freundlich. "Wollen Sie etwas
trinken?"
Etwas
unschlüssig entschied Maya schließlich, dass es ihr vielleicht gut tun würde, gerade
mit ihm darüber zu reden. Mit einem Menschen, kam ihr mit einem Anflug
von Bitterkeit in den Sinn, schien das wohl nicht möglich!
Smith
setzte sich ihr gegenüber und ein Androide brachte eine Flasche Wasser und ein
Glas, das er ihr eingoss.
"Danke",
murmelte sie, aber der Androide sah sie nur ausdruckslos an und entfernte sich
wieder. Nur die höher gestellten atlantischen Androiden hatten das
USOP-Emotionsmodul erhalten und sie vermutete, dass diese künstliche Lebensform
- gesteuert durch ihr internes Netzwerk - einfach nur Anweisungen ausführte und
sonst nichts.
Smith
saß vor ihr und sah sie ruhig und abwartend an. Plötzlich war sie dankbar, dass
da jemand war, der ohne Druck und Vorurteile bereit war, ihr zuzuhören und so
begann Shan langsam zu berichten, was geschehen war.
"...
und das ausgerechnet auch noch von einer Kollegin!", endete sie schließlich. Erschrocken feststellend, dass sie
plötzlich auch noch den Tränen nah war, versuchte sie, sich zusammenzureißen:
"Tut mir leid, ich hatte nicht vor ..."
"Das
muss Ihnen nicht peinlich sein, Miss Shan", erwiderte Smith warm. Nach
einem weiteren Glas Wasser und einem tiefen Atemzug hatte sie sich wieder
einigermaßen im Griff.
"Wissen
Sie, es ist ja nicht so, als wüsste ich nicht, dass diese Einstellung hier in
der USOP vorhanden ist. Ich erhalte nicht nur Liebesbriefe auf meine Kolumne. Es
gibt auch Schmähungen bis hin zu Drohungen, denen allerdings die Agentur
sofort nachgeht. Es hat mich wohl einfach kalt erwischt, weil diese Frau eine
Kollegin ist, von der ich das so nicht erwartet hätte."
Eine
Weile herrschte eine Stille im Raum während Maya vor sich hinsah, das
Wasserglas in der Hand drehend und ihren Gedanken nachhing.
In
Amirs Gesicht las sie häufig eine Missbilligung, wenn Fynn erschien und sie Arm
in Arm die Agentur verließen. Clarke sagte zwar nichts, aber auch er hatte sich
deutlich von ihr distanziert. Nur Peer und Hamid waren offener und gingen
freundschaftlich mit Fynn um. Und ihrem Chef Mr. Capelli war es gleichgültig,
solange sie der Agentur nur weiter zu öffentlicher Aufmerksamkeit verhalf. Wieder
aufsehend begegnete sie Smiths abwartenden Blick.
"Dieses
Ereignis hat mir auf niederschmetternde Weise klargemacht, Mr. Smith, dass ich
Wasser mit einem Sieb schöpfe. Mal abgesehen von meiner persönlichen
Betroffenheit, dass es jemand im näheren Umfeld überhaupt wagt, auf diese Weise
mit meinem Lebensgefährten umzugehen - besteht überhaupt eine Aussicht, in
absehbarer Zeit eine Veränderung in unserer Gesellschaft zu bewirken?"
"In
absehbarer Zeit? Davon gehe ich nicht aus", hörte sie Smith ruhig und bestimmt sagen.
"Doch auf längere Sicht - durchaus möglich."
Wieder
trat eine Gesprächspause ein, in der sie plötzlich eine leise Müdigkeit
empfand. Kämpfte sie gegen Windmühlen? War nicht alles, was sie tat,
aussichtslos, wenn sie noch nicht einmal die Menschen in ihrem näheren Umfeld
erreichen und überzeugen konnte?
Smith
hatte ihr wohl ihre Stimmung angesehen, denn er sagte jetzt: "Wir brauchen
Menschen wie Sie, Miss Shan. Menschen, die allen Widerständen zum Trotz die
Stärke haben, für ihre Vision einzustehen."
"Aber
wird das ausreichen?"
"Das
wissen weder Sie noch ich. Sehen Sie - Sie haben ein Ziel, das Sie erreichen
wollen aber Sie müssen die Zeit berücksichtigen, die dafür nötig ist. Die
Gesellschaft der USOP befindet sich aus meiner Sicht in einer gewaltigen
Umwälzung und wie üblich wird es erst einmal die entsprechenden Gegenbewegungen
geben. Das ist der natürliche Gang und darauf müssen Sie sich einstellen",
erklärte er ihr.
Maya
Shan spürte, wie sich endlich in ihr die Revoluzzerin regte: Was, gibst du etwa beim ersten Schlag schon
auf?! Steh wieder auf und lass dich nicht unterkriegen!
Ein
leises Lächeln glitt langsam über ihre Züge.
"Sie
haben Recht. Das habe ich nicht berücksichtigt", sagte Maya. "Ich
danke Ihnen, Mr. Smith. Das Gespräch hat mir gut getan."
"Wie
sagen die Franzosen so treffend: de rien, es ist nichts", erwiderte Smith
freundlich. "In diesen Zeiten, Miss Shan, ist eines für uns wichtig:
Verbündete und Freunde."
Aufmerksam
sah sie ihn an - er hatte "uns" gesagt, was sie mit einschloss - und es
tat gut, in ihm einen Verbündeten zu sehen. Ob er allerdings jemals eine Freundschaft mit
einem Menschen zulassen würde, das schien ungewiss.
Maya erhob sich nun und
Smith begleitete sie zur Tür. Sich ihm zuwendend bat sie: "Darf ich Sie ab
und zu mal ansprechen, wenn ich meine Arbeit reflektieren möchte oder eine
andere Meinung dazu brauche?"
"Wir schätzen Ihre Arbeit viel zu
sehr, als dass ich dazu Nein sagen würde, Miss Shan. Sie sind hier jederzeit
willkommen."
"Danke!",
strahlte sie ihn aus vollem Herzen an. Sie hätte ihn am liebsten spontan
umarmt, aber aus Respekt vor ihm tat sie es nicht.
"Fühlen
Sie sich umarmt, Mr. Smith", sagte Maya schließlich mit einem Zwinkern.
"Ich bin sehr froh, Sie zu kennen.
Fortsetzung folgt
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