Auf dem Flaggschiff der Atlanter
Figuren in den Büchern "Golem und Das verborgene Imperium" und dem Folge-Thriller "Die Welt der Schöpfer"
Andromeda Nebel, Planet Last Hope im Jahr 10.003
Der
Chef der Nachrichtenagentur Last Hope Sunrise im Andromeda Nebel, Luigi Capelli, hatte Maya Shan kommen
lassen, um sie darüber zu informieren, dass Poseidon, der Machthaber von Atlas
in der Zwerggalaxie, speziell sie und niemanden sonst angefordert hatte.
"Ich
weiß nicht, wie Sie das geschafft haben", dabei musterte er sie neugierig,
während sie ihm schweigend zuhörte, "aber die Atlanter sind offenbar von
Ihnen sehr angetan. Morgen werden Sie von einem Raumshuttle abgeholt, das Sie
zum Flaggschiff befördert. Sie werden mit Poseidon zum Neptun fliegen und dort
auf seinem Schiff am Manöver teilnehmen. Allerdings ..." Capelli hielt inne
und sein Gesicht wurde ernst: "Es ist so, dass die Teilnahme auf
eigenes Risiko stattfindet, denn es wird scharf geschossen."
Nachdem
er ihr die Bedingungen erläutert hatte, fragte er: "Nun, was ist Ihre
Meinung?"
Shan benötigte nur wenige Sekunden dafür, um lächelnd zu erwidern: "Wenn ich
irgendwo in Sicherheit bin, Mr. Capelli, dann ist es auf Poseidons
Flaggschiff!"
"Nun
gut", meinte er verblüfft, "wenn Sie das so sehen, dann freue ich
mich natürlich. Sollten sich diese Auszeichnungen weiter fortsetzen, dann
können wir über eine adäquate Stellung in unserer Agentur sprechen, Miss
Shan."
Capelli
hatte sie verabschiedet und ihr für den Rest des Tages frei gegeben, um sich
für die Reise vorzubereiten. Ihr
stand eine Woche zur Verfügung: Zwei Tage Hinflug, ein Tag Manöver und der Rest war
offen, bis auf den zweitägigen Rückflug.
Im Grunde
wusste sie nicht, was sie auf einem Androiden-Raumschiff erwartete. Gab es eine
Gästekabine? Aber rechnen konnte sie mit letzterem nicht. Diese Androiden
benötigten weder Nahrung noch Wasser, nur einen Servicecheckpoint gab es in
jedem Raum. Sie ging davon aus, dass ihr Wasser zur Verfügung gestellt wurde,
aber was Nahrung für 3 Tage anging, da wollte sie auf Nummer sicher gehen und
besorgte sich hochkonzentrierte, kleine Rationen. Als Kleidung hatte sie sich
einen sehr funktionellen Raumanzug besorgt und der Rest würde sich ergeben.
Diese Einladung war eine Auszeichnung und sie sah dieser besonderen Erfahrung
mit Spannung entgegen.
In
dieser Nacht dachte sie wie so oft vor dem Einschlafen an Golem. Wie mochte es
ihm wohl gehen? Sie dachte an ihre gemeinsame Nacht und fühlte sich glücklich
damit, dass er sich nach ihr genauso sehnte, wie sie sich nach ihm. Und wenn er
Geduld hatte, dann konnte sie es auch.
Gegen
morgen ging es früh los und um Punkt 6.00 Uhr stiegen sie und der Botschafter
Ben Smith, der sie nur knapp begrüßte, in das Shuttle, das beide zum Flaggschiff
flog.
Ihr
Verhältnis zu Mr. Smith hatte sich nicht wesentlich verändert, dachte sie
während des Fluges. Er war ein durchaus gutaussehender Androide, der nie
herausließ, was er wirklich dachte. Aber er und Mahal, der atlantische Konsul
von Eden, mussten sie empfohlen haben, sonst wäre sie nicht hier.
Der
Flug verlief schweigsam und so genoss sie die Aussicht auf den allmählich
kleiner werdenden Planeten und da kam es plötzlich mit einer Drehung in Sicht:
Die runde Kugelform des Flaggschiffs der Atlanter! Sie las Zahlen auf dem
Schiff, aber keine Namen und je näher sie kamen, entstand der Eindruck, dass
allein die Zweckmäßigkeit beim Aufbau eine Rolle spielte und sonst nichts.
Dort
angekommen stiegen sie aus und wurden von vier Robotern empfangen. Smith wandte
sich ihr zu und fragte: "Sie wollen sicher Ihr Gepäck in Ihrer Kabine unterbringen,
Miss Smith. Die beiden werden Sie dorthin begleiten und danach zur Zentrale
bringen."
Sie
nickte und dann war er weg. Den beiden Robotern hinterher gehend verstärkte
sich der Eindruck, den sie bereits im Shuttle gehabt hatte: Hier gab es keine
Schnörkel oder zur Schau getragene Pracht in den anthrazitfarbenen Gängen, die
mäßig beleuchtet wurden. Anscheinend war mehr für die Okulare und Sensoren
nicht nötig; der Faktor Energie spielte für die Atlanter eine große Rolle, wie
sie von Mahal wusste und mit ihm wurde äußerst effizient umgegangen. Die beiden
Roboter, die kein Wort mit ihr sprachen, blieben schließlich stehen und schon
öffnete sich in der Wand eine Art Schiebetür. Stumm schienen sie zu warten und
so betrat sie den dahinterliegenden Raum. Zu ihrer großen Überraschung befand sich hier eine relativ wohnliche Gästesuite
mit einer Liege. Shan stellte ihre Sachen ab und ging durch die Räumlichkeit,
die sogar eine Schalldusche besaß. Soweit, so gut.
In die
beiden Roboter kam Bewegung, als sie aus der Kabine heraustrat und so ging sie
ihnen wieder hinterher, durch endlose Gänge und Aufzüge. Es schien ewig zu dauern,
was bei einem so großen Raumschiff kein Wunder war. Aber schließlich betrat sie
die Zentrale und sah Smith, der neben Poseidon und einem anderen Androiden
stand.
Smith
wandte sich ihr sofort zu: "Miss Shan, kommen Sie. Das ist Poseidon, der
Herrscher von Atlas und seinem Imperium."
Poseidon
war ein großer Androide mit imposanter Gestalt. In eine schlichte, blaue
Uniform gekleidet hatte er dennoch eine Präsenz, die den Raum auszufüllen schien
und seine dunklen Augen in dem humanoid geprägten, metallisch-silbern
glänzenden Gesicht sahen sie undurchdringlich an. Atlas war ein Planet ohne
menschliche Bevölkerung - die Bewohner waren ausschließlich Androiden, Roboter
und andere künstliche Lebensformen. Und daher gab es auch keine menschliche
Haut oder Haare - wo die Kleidung den Körper nicht mehr verdeckte, sah man auf
eine metallische Außenhaut.
Shan
erwiderte seinen Blick schweigend. Eine besondere Freude oder Höflichkeit
erschien nicht auf seinem Gesicht und so wurde ihr schnell klar, dass er der Anwesenheit
einer irdischen Presse aus politisch-taktischen Gründen zugestimmt hatte. Und
wenn es schon sein musste, so vermutete sie, dann nur nach seinen Vorgaben und
das war wohl der Grund, warum sie nach der Empfehlung von Mahal ausgesucht
worden war.
Sie
hatte viel über ihn gehört und ihn auf Übertragungen gesehen - aber so vor ihm
zu stehend war sie unwillkürlich beeindruckt. Er war sich erkennbar seiner
Macht bewusst und fragte sich jetzt wohl, was er mit ihr hier überhaupt
anfangen sollte. Also beschloss sie, in die Offensive zu gehen.
"Es
ist mir eine Ehre, beim Manöver mit dabei zu sein, Poseidon, wenn ich Sie so
nennen darf. Meine Absicht ist es, Ihr Imperium kennenzulernen, um darüber zu berichten.
Viele Menschen sehen nur die Fremdartigkeit der atlantischen Bewohner, aber
nicht, wer sie eigentlich sind."
Shan
lächelte ihn an, während er sie nur weiter anstarrte und fuhr unbeirrt fort:
"Also, wo werde ich mich hier aufhalten?"
Ihr
Blick schweifte durch die Zentrale. Hier befanden sich riesige Bildschirme und
einige Androiden; wie zuvor wies die Einrichtung eine zweckgebundene
Nüchternheit auf.
Ben
Smith sagte schließlich: "Poseidon heißt sie willkommen, Miss Shan. Und
das ist Hades, der Commander dieses Raumschiffs."
Hades
nickte ihr zu und sah ebenso unnahbar aus wie Poseidon.
"Kommen
Sie, wir werden uns hier aufhalten."
Smith
ging mit ihr zu zwei Sitzen, die sich hinter der Kommandoriege etwas höher
befanden, sodass sie eine gute Sicht auf die Bildschirme hatten.
Also
machte sie es sich dort bequem, entschlossen, sich von einem non-kommunikativen
Verhalten nicht beeindrucken zu lassen.
Der
Sitz für sie und Smith war anders konzipiert als die Sitze der Androiden und
augenscheinlich mehr darauf angelegt, der Verletzlichkeit eines menschlichen
Organismus Rechnung zu tragen. Sie saß in einer Art Schale, deren Material sich
sofort ihrer Körperform anpasste und eine Feuchtigkeits- und Temperaturregelung
besaß. Auf der rechten Armlehne sah sie mehrere Bedientasten und Smith erklärte
daraufhin, ihren fragenden Blick bemerkend, dass eine Taste dafür gedacht war,
damit sich im Falle schneller Bewegungen und Erschütterungen des Schiffes
sofort Sicherungsgurte um sie legten, um sie auf ihrem Platz zu halten.
Eine
andere betätigte er selbst und sie nahm erstaunt wahr, wie sich die linke Lehne
öffnete und ein Wasserbehälter zum Vorschein kam.
"Falls
Sie Durst haben sollten", lächelte er ihr zu angesichts ihres Erstaunens.
"Und falls Sie ein anderes, bestimmtes Bedürfnis verspüren sollten",
fuhr er fort, "dann drücken Sie hier und es wird Sie jemand in einen naheliegenden
Raum führen, der speziell für Sie hergerichtet wurde. Was Nahrung angeht: In
Ihrer Kabine befinden sich, in der Wand eingelassen, Essen und Getränke."
Auf
der linken Seite bemerkte Shan weiter hinten liegend zwei Tasten, die nur im Notfall
betätigt wurden, wie er ihr erklärte. Beeindruckt erfuhr sie, dass sich in dem
Fall eine transparente, hitze- und erschütterungsfeste Kapsel um sie herum
aufbauen würde, in der sie längere Zeit selbst dann noch atembare Luft erhielt,
wenn die Zentrale schon in Schutt und Asche lag. Die zweite Taste diente der
Kommunikation, sodass sie im Ernstfall Hilfe anfordern konnte. Dabei würde sich
ein manuell bedienbares Display auf der Innenseite der Kapsel aufbauen.
Mittlerweile
war das riesige Raumschiff auf Warp-Flug gegangen und Shan schloss die Augen
und entspannte sich in ihrem Sitz, um die ersten Eindrücke zu verarbeiten. Es
drängte sie nichts und sie hatte heute und morgen Zeit, sich mit allem zu beschäftigen,
was sie sah.
Ihre
Augen öffnend kam ihr auf einmal zu Bewusstsein, dass in der Zentrale eine
ungewöhnliche Stille herrschte. Anfangs hatte es noch Geräusche gegeben,
erinnerte sie sich; alle hatten sich bewegt und sie hatte mit Smith gesprochen
sowie das leise Summen der Antriebe wahrgenommen, als sie auf Warp gegangen
waren. Das war ungewöhnlich, denn in den irdischen Raumschiffen herrschte immer
eine Geschäftigkeit, selbst in den ruhigsten Momenten. Irgendjemand führte
Kontrollen durch, stand an einem Pult, kam herein oder ging hinaus, über den
Kommunikator wurden Meldungen gemacht. Aber hier? Nichts - es herrschte eine
Grabesstille.
Es
mochten jetzt zwei Stunden vergangen sein, stellte sie fest und beim genaueren
Hinsehen bemerkte sie, dass alle Androiden in ihren Sitzen Platz genommen
hatten und sich nicht mehr bewegten. Smith einen schnellen Blick zuwerfend sah
sie, dass er ebenfalls mit geschlossenen Augen in der Schale saß. Sie wusste
von Golem, dass er in einen Ruhemodus ging, wenn eine Aktivität nicht
erforderlich war und nahm an, dass genau das jetzt der Fall war. Alle Androiden
in der Zentrale befanden sich anscheinend in ihrem Ruhemodus!
Shan
fühlte sich plötzlich, als sei sie allein auf dem riesigen, atlantischen
Raumschiff und aufgeregt überließ sie sich mit allen Sinnen dieser neuen
Erfahrung. Sie nahm an, dass das Schiff über eine Bord-KI vollautomatisch
gesteuert und überwacht wurde. Also waren alle sozusagen "schlafen"
gegangen, bis das Ziel erreicht war. Denn Essen, Wasser, ein bisschen Bewegung
oder ein Toilettengang war für sie nicht nötig. Im Grunde also alles absolut
effizient und auf das wirklich Notwendige reduziert, ging ihr durch den Sinn. Und
vermutlich würden alle sofort wieder präsent sein, sollte etwas
Unvorhergesehenes eintreten.
Eine
Weile sah sie sich die Zentrale noch genauer an, aber im Prinzip gab es nicht
viel, was ihr Interesse weckte. Da waren die riesigen, zurzeit ausgeschalteten,
Bildschirme - schließlich gab es im Warp-Raum nicht viel zu sehen - und einige
kleinere Hologramme, auf denen unendliche Zahlenreihen liefen. Die Stille
begann auch sie einzulullen und da der Tag früh begonnen hatte war sie
ebenfalls bald eingeschlafen.
Sie
schien im Schlaf wohl eine unbewusste Bewegung gemacht zu haben, denn als sie
die Augen aufschlug und einen Blick neben sich warf, sah sie Smiths Blick auf
sich gerichtet.
"Nun,
Miss Shan", lächelte er freundlich, "wie ich sehe, haben Sie sich bereits
akklimatisiert."
Gähnend
räkelte sie sich und setzte sich in eine aufrechte Haltung, um auf der linken
Seite den Wasserbehälter erscheinen zu lassen. Diese Schale war wirklich
äußerst bequem, vermerkte sie zufrieden, denn sie fühlte sich wirklich
erfrischt und hatte wohl tatsächlich an die sechs Stunden ungestört geschlafen.
"Ich
hoffe, ich bin nicht verantwortlich für Ihr Erwachen?", fragte sie höflich,
während sie das Wasser zu sich nahm.
"Scheuen
Sie sich nicht, mich zu wecken, wenn Sie Fragen haben, Miss Shan. Uns ist klar,
dass diese Erfahrung für Sie ungewohnt sein muss."
Er
bestätigte ihre Vermutung, dass alle anderen erst am Zielort wieder aktiv
werden würden. Sie sprachen eine Zeitlang über die diese ungewöhnlichen
Sitzschalen, die ganz offensichtlich für einen verletzlichen Organismus
konzipiert worden waren und Shan fragte ihn, ob sie speziell für sie beide
hergestellt worden waren.
"Nein",
gab Smith zur Antwort. "Soweit ich das weiß, ist diese Entwicklung schon
auf Atlas vorhanden gewesen und in diesem Fall speziell für uns kurzfristig
installiert worden. Das betrifft auch Ihre Kabine", fügte er bedeutungsvoll
an. "Wenn Sie sich Zeit nehmen, werden Sie einiges darin entdecken."
"Mr.
Smith, darf ich Ihnen einige technische Fragen stellen?"
"Nur
zu, fragen Sie."
Sie
erfuhr, dass die Kommunikation untereinander und mit der Bord-KI wortlos
stattfand. Auf einem atlantischen Schiff wurde in der Regel nicht geredet, weil
es nicht nötig war, erklärte er ihr. Auf die neugierige Frage hin, ob er selbst
auch in das Netzwerk eingebunden war, bejahte er.
"Selbstverständlich",
nickte er. "Ich kann jederzeit mit der Bord-KI kommunizieren."
Interessiert
musterte sie ihn. Er hatte nur die Bord-KI genannt, nicht aber Poseidon oder
Hades. Also konnten sie mit ihm kommunizieren, dennoch wurde er trotz seiner
Position als Botschafter von Atlas auf einer gewissen Distanz gehalten. Ob ihm
das so gefiel?
Smith
lächelte plötzlich und sagte, als hätte er ihr ihre Gedanken angesehen:
"Die Atlanter haben eine klare Kommandostruktur, Miss Shan. Sie müssen
bedenken: Eine Maschinenwelt, die seit Jahrtausenden alleine existiert hat,
kennt keine Demokratie."
Das
war ein Satz, bei dem sie sofort ansprang und in ihrem Element war. Und so
ergab sich eine spannende Diskussion über die Vor- und Nachteile von Demokratie
und Autokratie.
"Sie
kennen die Bedenken mancher Bürger der USOP, Mr. Smith", sagte sie
schließlich.
"Besteht
nicht doch das Risiko, dass wir ab Mitte nächsten Jahres von einer Kultur
übernommen werden, die unser Demokratieverständnis nicht teilt?"
Smith
musterte sie und dachte bei sich, dass diese Reporterin tatsächlich eine gute
Wahl gewesen war. Er kannte Shan aus der Zeit seiner Präsidentschaft eher als
entschiedene Gegnerin einer liberalen Androidenpolitik und war zunächst
abgeneigt gewesen. Mahal hatte sich jedoch sehr für sie ausgesprochen und er
musste ihm recht geben - sie war tatsächlich interessiert und er konnte keine
Antihaltung gegenüber Androiden mehr erkennen. Im Gegenteil zeigte sie eine
erstaunliche Offenheit und ließ sich auch durch das ungastliche Verhalten Poseidons
nicht abschrecken.
Nun,
sie würde es ihm sicher nicht auf die Nase binden, resümierte er, warum sich
ihre Haltung so verändert hatte, genauso wenig wie er seine persönlichen Gedanken
zu offenbaren gedachte.
"Die
Verbindung zwischen beiden Völkern werden die Emotionen sein, Miss Shan. Sie
wissen, dass alle höher gestellten atlantischen Androiden das Emotionsprogramm
der USOP integriert haben und damit werden wir uns im Laufe der Zeit mehr und
mehr aufeinander zu bewegen."
Ihren
gespannten Blick bemerkend erläuterte er: "Sie haben sich mit Mahal sofort
verstanden. Haben Sie sich einmal gefragt, warum? Dank dieses Emotionsprogramms
bilden sich aus jedem Androiden nach und nach Persönlichkeiten, die selbst
entscheiden, was sie erleben, wer sie sein wollen und in welche Richtung sie
sich entwickeln wollen. Das heißt, früher oder später muss sich eine strenge
Autokratie in eine beginnende Demokratie entwickeln, ansonsten sind Unruhen
vorprogrammiert."
Plötzlich
in sich gekehrt saß Shan still da. Sie wusste, wie wahr Smiths Worte waren,
denn ihre Begegnung mit Golem hatte sich ihr förmlich aufgedrängt. Im Laufe
einer einzigen Nacht war so viel zwischen ihnen geschehen: die wunderbaren
gemeinsamen Gespräche, seine Neugier und die starke Feinfühligkeit, mit der er sich
im Verlauf immer mehr auf sie eingestellt hatte. Golem hatte sich für dieses
Erleben mit ihr entschieden und bedingungslos darauf eingelassen ...
Sich
von diesen Gedanken an ihn losreißend nahm sie zum ersten Mal eine unverhüllte
Neugier in Smiths Blick wahr und musste lächeln. Er kannte sie sicherlich noch
von damals, als sie eine erklärte Gegnerin der Gleichstellung von
Androiden und Menschen gewesen war. Sicherlich fragte er sich jetzt, wieso sie
ihre Meinung geändert hatte.
Während
sie sich ansahen fühlte sie, wie sich ein wortloses Verstehen und der vorsichtige
Beginn einer gegenseitigen Sympathie zwischen ihnen wie eine unsichtbare Welle
ausbreiteten.
"Sie
setzen mich in Erstaunen, Miss Shan", sagte Smith, ihr Lächeln erwidernd,
bevor seine Miene wieder unverbindlich wurde.
Shan
fragte ihn dann nach den Programmierungen, die das Emotionsmodul zur Sicherheit
enthalten musste. Denn Emotionen wie eine übersteigerte Aggression oder Wut
konnten auch gefährdend für Menschen und die Ziele der USOP werden. Wie war
gesichert, dass das nicht geschah?
Anerkennend
nickte Smith: "Das ist eine gute Frage, Miss Shan. Tatsächlich gibt es
eine Absicherung im Modul, die ich Ihnen allerdings nicht näher erläutern kann.
Aggressionen, Zorn und Wut werden dadurch gedämpft erlebt und führen daher zu
keiner ausufernden, negativen Handlung."
Sie
hatten doch tatsächlich zwei Stunden zusammengesessen und diskutiert - Shan entschied,
dass es für heute genug war und verabschiedete sich. Kurz darauf erschien auf
Anforderung von Smith an die Bord-KI ein Androide, um sie in ihre Kabine zu
begleiten.
"Er
wird vor Ihrer Kabine warten und Sie wieder zurückbegleiten, sobald Sie diese
verlassen", sagte er und sah sie abwartend an. Shan bedankte sich aufrichtig
für die anregende Diskussion und wünschte ihm eine erholsame Ruhezeit. Dann
drehte sie sich um und wanderte erneut durch die endlosen, halbdunklen und leblosen
Gänge eines atlantischen Raumschiffs.
In der
Kabine angekommen sah sie sich neugierig um, denn allmählich war es Zeit, etwas
zu sich zu nehmen. Smith hatte davon geredet, dass etwas in der Wand eingelassen
war. Nachdenklich die leere Wand ihrer Kabine betrachtend sah sie mehrere Symbole
darauf, die aussahen, als wären sie zur Verschönerung des kargen Raumes
angebracht. Aber vielleicht hatten sie eine andere Bedeutung? Sie ging auf ein
Symbol zu und berührte es mit der Hand - und sofort erschien eine Öffnung, in
der sich Trinkbecher und so etwas wie ein Auslass befanden, unter den sie den
Becher stellte - und siehe da - eine helle Flüssigkeit floss sofort heraus, die
sie als Wasser einordnete. Als sie ihre Hand herauszog, schloss sich die
Öffnung automatisch.
Das
nächste Symbol hielt verschiedene, verpackte Nahrungsrationen für sie bereit.
Das war also die Bordküche. Aber es gab noch zwei weitere Darstellungen.
Hinter
dem nächsten Symbol versteckte sich eine Karaffe mit einem gelben Inhalt.
Erstaunt nahm sie diese heraus und schnupperte: Es roch blumig-vanillig, und
ein bisschen in die Hand gießend, fühlte es sich ölig an. War das etwa ein Öl
zur Körperpflege? Sie beschloss, es sich später nach der Schalldusche
aufzutragen und die Wirkung zu testen. Das war wirklich das letzte, was sie
hier vorzufinden erwartet hätte!
Hinter
dem letzten Symbol befand sich nur eine leere Öffnung - vermutlich sollte sie
als Ablage dienen.
Das
Bett war im Grunde eine Liege, die aus dem gleichen Material zu bestehen
schien, die sie schon in der Schale wahrgenommen hatte. Es schmiegte sich passgenau
an den Körper an und sie entspannte sich sofort, wie auf Wolken fühlend.
Smith
hatte erzählt, dass der Sitz und dieses Wohnmodul bereits auf Atlas vorhanden
gewesen waren ... was ein großes Fragezeichen hinterließ.
Waren beide für die sogenannten Schöpfer gedacht, die ihnen so unendlich
überlegen waren in ihren Fähigkeiten und Technologien, aber dennoch einen
sterblichen und verletzbaren Organismus haben mussten? Außerdem schienen sie
eine ähnliche Größe wie Menschen zu haben...
Nach
einem erneuten Schlaf, der sie erfrischt aufwachen ließ testete Shan die
Schalldusche und trug das Öl sorgfältig auf. Sicher - die Wirkung war
unbekannt, aber sie wollte sich auf diese Erfahrung mit Haut und Haren einlassen,
entschied sie.
Heute
Abend sollten sie bereits in der Milchstraße ankommen, und, nachdem sie ihre
Ration gegessen hatte, machte sie sich wieder auf den Weg in die Zentrale.
Der
Androide stand tatsächlich noch dort, wo sie ihn verlassen hatte.
Sie
strahlte ihn an, ließ ein fröhliches "Guten Morgen, mein Freund!"
vernehmen und schon wandte er sich um und sie folgte ihm wieder. Er sprach
nicht mit ihr - vermutlich konnte er es nicht - und sie konnte nicht wortlos
kommunizieren.
In der
Zentrale angekommen, war alles so ruhig wie zuvor. Nach wie vor liefen auf den Hologrammen
unendliche Zahlenreihen. Smith lag, wie alle anderen auch, im Ruhemodus ruhig in
seiner Schale und so setzte sie sich neben ihn.
Wieder
in dieser Schale angenehm versinkend ließ sie ihre Gedanken fließen. Sie konnte
davon ausgehen, dass es den Schöpfern angepasst war. Was lag näher, als sich
vorzustellen, dass diese Schöpfer auch menschenähnlich waren. Und dann dieses
Körperöl; sie hatten also auch Körperpflege betrieben und legten Wert auf einen
angenehmen Duft; vermutlich war das Habitat für ein weibliches Wesen gedacht. Das
Öl fühlte sich angenehm und energetisierend auf ihrer Haut an.
Nach
einigen Stunden ging sie noch einmal zurück zur Kabine, um wenigsten einige
Schritte zu laufen, noch etwas zu essen und im Raum ein paar gymnastische
Übungen zu machen. Androiden hatten das alles nicht nötig, dachte sie - aber
sie konnte nicht den ganzen Tag sitzen. Also kehrte sie erst zur Zentrale
zurück, als es nur noch eine halbe Stunde bis zur Ankunftszeit war.
Sie
legte Smith sanft die Hand auf den Arm und sah ihn erwartungsvoll an.
Eine
Sekunde später war er bereits präsent.
"Ah,
Miss Shan. Haben Sie gut geruht?"
"Sehr
gut", erwiderte Shan guter Laune, "es war äußerst erfrischend. Wir
sollten in einer halben Stunde Neptun erreichen."